Nach dem gesetzgeberischen Willen steht jedem Kind ab Erreichen des ersten Lebensjahres ein Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege zu. So einfach dies in der Theorie klingt, so groß gestalten sich die Hürden in der Praxis. Welche Rechte bestehen für Kind und Eltern, wenn der Anspruch auf einen Betreuungsplatz nicht gewährt wird?

Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fehlen allein für das Jahr 2023 in Deutschland fast 384.000 Kitaplätze. Eine beachtliche Zahl. Keine Mandatsanfrage häuft sich derzeit so stark, wie die fehlender Kita- und Kindergartenplätze.

I.

Mit Einführung des Kinderförderungsgesetz, steht seit dem 1. August 2013 jedem Kind ab dem Alter von einem Jahr, ein Anspruch auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes zu. Gesetzlich verankert ist der Anspruch in § 24 SGB VIII. Wörtlich lautet es unter Absatz 2:

„Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege.“

Absatz 3 regelt den Anspruch für Kinder über drei Jahren. Hier lautet es:

„Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung.“

Soweit so einfach scheint es. Dennoch wurde lange Zeit um die tatsächliche Ausgestaltung des festgeschriebenen Anspruchs gestritten. Denn was die Politik so vollmundig als „familienpolitische Wende“ anpries, gestaltete sich in der tatsächlichen Ausgestaltung alles andere als einfach.

Es genügt eben nicht, einen Anspruch einfach gesetzlich zu verankern, es müssen auch die entsprechenden Kapazitäten geschaffen werden. Nachdem diese erkennbar nicht vorliegen, werden landauf und landab berechtigte Kindergartenansprüche mit der Begründung fehlender Kapazitäten abgelehnt.

Grundsätzlich erscheint das Vorgehen der Landkreise und Städte zunächst nachvollziehbar. Ein schlichtweg nicht vorhandener Platz kann schließlich nicht gewährt werden.

Dennoch entspricht dieses Vorgehen nicht höchstrichterlicher Rechtsprechung. Wie inzwischen mehrfach ausgeurteilt, unterliegt der Anspruch auf Gewährung eines Betreuungsplatzes keinem Kapazitätsvorbehalt. So auch zuletzt nochmals der für Baden-Württemberg zuständige Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit Beschluss vom 23. November 2022 - 12 S 2224 / 22.

Der gegenteiligen Rechtsauffassung des Landkreises Böblingen, dass der geltend gemachte Anspruch wegen Kapazitätsauslastung nicht erfüllbar und die ausgesprochene Leistung daher auf etwas Unmögliches gerichtet sei, blieb erfolglos.

Es bleibt mithin dabei: Jedem Kind steht, vertreten durch seine Erziehungsberechtigten Eltern, ein einklagbarer Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege zu.

Doch wie ist dieser Anspruch konkret ausgestaltet?

1. Zeitlicher Umfang der Förderung.

Die Dauer der Betreuung richtet sich hierbei nach dem individuellen Bedarf, also nach der Situation des Kindes und der Eltern. Ein Anspruch auf eine ganztägige Betreuung besteht nicht. Für eine über die Halbtagesbetreuung hinausgehende Betreuung, müssen daher besonders begründete Interessen vorliegen.

Der Anspruch besteht ab Erreichen des ersten Lebensjahres. Zumindest nach § 24 SGB VIII hängt Anspruch auch nicht von einer vorherigen Anmeldung beim zuständigen Träger der Jugendhilfe, also entweder dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt, welche für die Gewährung des Platzes verantwortlich sind, ab.  Das Kita-Gesetz Baden-Württemberg setzt jedoch einer Anmeldung drei Monate vor Beginn der geplanten Betreuung voraus. Ob dies mit dem Bundesrecht vereinbar ist, dürfte zwar zweifelhaft sein, dennoch bietet es sich bereits aus organisatorischen Gründen an, das Kind möglichst früh für einen Betreuungsplatz anzumelden.

Wie ausgeführt, sind zuständige Träger und Adressaten für die Anmeldung eines Platzes hierbei nicht die einzelnen Gemeinden, sondern der Landkreis oder die kreisfreien Städte. Eine Anmeldung des Betreuungsplatzes bei der Gemeinde ist jedoch zunächst unschädlich, da sich die Landkreise die Anmeldung bei den Gemeinden zurechnen lassen müssen.

2. Räumlicher Umfang der Förderung.

Auch bei der zumutbaren räumlichen Entfernung des Betreuungsplatzes kommt es auf die Zumutbarkeit des konkreten Einzelfalls an. Ebenso sind hier sowohl die Belange des Kindes als auch die der Eltern zu berücksichtigen. Einzubeziehen ist unter anderem die Entfernung des Betreuungsplatzes zur Arbeitsstätte und dem damit verbundenen gesamten zeitlichen Aufwand für die Eltern.

Unzumutbar dürften hierbei in der Regel Entfernungen zwischen Wohnort, Ort der Betreuung und Arbeitsstätte sein, die mehr als 30 Minuten in Anspruch nehmen. So zumindest das Oberverwaltungsgericht Sachsen mit Beschluss vom 28. März 2018-4B 40 / 18.

II.

Es bleibt also festzuhalten, dass jedem Kind mit Erreichen des ersten Lebensjahres ein einklagbarer Anspruch auf einen bedarfsgerechten, unter zumutbaren Bedingungen erreichbaren Betreuungsplatz zusteht. Doch was geschieht, wenn der rechtzeitig beantragte und benötigte Platz dennoch nicht gewährt wird?

1. Zunächst empfiehlt es sich, die entsprechende Behörde nochmals unter Fristsetzung zur Anzeige eines zumutbaren Platzes aufzufordern. Ist auch dies erfolglos, bleibt die Möglichkeit einer Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Zusätzlich kann auch ein Eilantrag auf Gewährung eines Platzes bei Gericht gestellt werden.

Bei erfolgreicher Klage wird das Gericht den zuständigen Träger dann verpflichten, einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Zur Wahrheit gehört jedoch dazu, dass auch ein entsprechendes Urteil noch nicht den Erhalt des gewünschten Platzes bedeutet. Denn wenn dem zuständigen Träger tatsächlich keinerlei Möglichkeit, sei es aus Platz- oder Personalmangel, besteht, einen Betreuungsplatz anzubieten, wird er dies auch schlicht und ergreifend weiterhin nicht tun können. Es besteht kein Anspruch darauf, dass der Träger einem anderen Kind den Platz kündigt, nur damit ihr Anspruch gewährleistet wird.

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass im Rahmen eines Klageverfahrens oftmals doch noch kurzfristig Plätze angeboten werden.

2. Wird der bestehende Rechtsanspruch jedoch trotz rechtzeitiger Anmeldung und sogar etwaiger Klage nicht rechtzeitig erfüllt, kommen Schadensersatzansprüche gegen den Träger in Betracht. Zum einen kann Ersatz der Aufwendungen in Form der Kostenerstattung für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz analog § 36 Abs. 3 S. 1 SGB VIII in Betracht kommen. Hierfür muss der Jugendhilfeträger rechtzeitig vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf in Kenntnis gesetzt worden sein. Von einem etwaigen Ersatzanspruch sind im Wege des Vorteilsausgleichs sonst aufzuwendende Kostenbeiträge zur staatlichen Kita abzusetzen.

Ist keine geeignete Betreuung selbst beschaffbar war, unterbrechen deshalb die Eltern ihre Erwerbstätigkeit und es entsteht Ihnen dadurch ein Schaden wegen Verdienstausfalls, kann ein Schadensersatzanspruch aus einem Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht kommen. Die verletzte Amtspflicht ist die des Jugendhilfeträgers, ausreichend Betreuungsplätze selbst zu schaffen oder schaffen zu lassen. Die Amtspflichtverletzung besteht in der Nichtbeschaffung des Platzes trotz rechtzeitiger Bedarfsanmeldung. Stehen nicht ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung, besteht ein Beweis des ersten Anscheins, dass ein Verschulden des Jugendhilfeträgers vorliegt. Anders als der Anspruch auf einen Kindergartenplatz selbst, ist ein solcher Amtshaftungsanspruch nicht vor dem Verwaltungsgericht, sondern von den Zivilgerichten geltend zu machen.

III. Zusammenfassung

Jedem Kind steht ab dem ersten Lebensjahr ein Anspruch auf einen Betreuungsplatz zu. Der Platz kann gerichtlich eingeklagt werden, er muss zumutbar und bedarfsgerecht sein. Falls der Betreuungsplatz nicht gewährt wird, können sich Schadensersatzansprüche ergeben.